Abi ´98

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ABI ´98

DIE JUNGE SEITE

Freitag 19. Juni 1998


Das lese ich gerade:

Texte, Themen und Strukturen
Grundband Deutsch für die Oberstufe

Von Heinrich Biermann und Bern Schurf in Zusammenarbeit mit Gerd Brenner, Dieter Erlach, Hans-Joachim Helmich und der Verlagsredaktion

Erschienen im Cornelsen Verlag, ISBN 3-590-12110-666


Warum habe ich mich für dieses Buch entschieden? Nun, es wurde mir aufgedrängt. Aber selbst wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte mein Weg kaum an diesem Meisterwerk der modernen Sachliteratur vorbeigeführt, schon allein, weil es für den Durchschnittsschüler keinen einfacheren und verständlicheren Einstieg in die komplexe Welt des Unterrichtsfaches Deutsch gibt - dies wird von den Verfassern auch selbst erklärt:
"Ein konsequenter Schülerbezug erleichtert die Arbeit mit dem Grundband Deutsch. Die Textauswahl orientiert sich an den didaktischen Prinzipien der Exemplarität und Anschaulichkeit, der enzyklopädischen Wissensvermittlung und der produktiv-kreativen Handlungskompetenz."
(Vorwort, S. 10)

Aber nicht nur diese sympathische Umgangssprache, die hin und wieder sogar Gefahr läuft, ins banal-vulgäre zu eskalieren, macht das Buch attraktiv. Es sind vielmehr die versteckten Mysterien, die nach einer adäquaten Interpretation verlangen: So beginnt die Seitennumerierung des Buches mit Seite 4. Warum die Verfasser es unterlassen haben, die vorherigen Seiten zu numerieren, erfährt der Leser nicht. Zählt man die Anzahl der vorangehenden Seiten, so erreicht man bei Seite 4 die Nummer 8: Warum wurden hier bewußt einige Seiten der Numerierung vorenthalten, und wer nahm sich das Recht heraus, zu bestimmen, welche Seiten es verdienen, gezählt zu werden? Waren es jene anonymen Personen, die in der Autorenangabe als "die Verlagsredaktion" bezeichnet werden? Doch wer versteckt sich hinter diesem Pseudonym?Und warum steht auf S. 389 unter der Überschrift "Amüsieren wir uns zu Tode" ein Bild von Emie & Bert?


Warum denken zwei von vier Schülern beim Stichwort "Traum" ans "Blasen" (S.316)? Und was um alles in der Welt war noch mal dieser hermeneutische Zirkel? Fragen über Fragen, deren Antworten der geneigte Leser selbst suchen sollte, denn den Spaß möchte ich hier gewiß niemandem verderben - der kommt schon von alleine.

Abschließend möchte ich noch ein Kapitel herausstellen, daß mir besonders gut gefallen hat, und zwar das Kapitel unter der Überschrift "Projektvorschlag: Die sprachliche Diskriminierung der Frau" (S.350ff). Obwohl ich feststellen mußte, daß das Kapitel nicht das hält, was der Titel verspricht, habe ich sehr viel Spaß daran gehabt. In tabellarischer Form werden hier sexistische Sprachwendungen rücksichtslos angeprangert und Alternativen vorgeschlagen, wie z.B. "Liebe Kollegen" = "Liebe Kolleginnen und Kollegen", "Bürger" = "Bürgerinnen und Bürger", "Die Männer des 20. Juli" = "Die Frauen und Männer des 20. Juli" (?) "Schwester Christa arbeitet in der chirurgischen Abteilung" = "Dr. Christa Seefeld leitet die Intensivstation" (???????).

Einzige Ausnahme bilden übrigens folgende Wörter: alte Jungfer, alte Schachtel, altes Weib, Mannweib, dummes Weibsbild, weibisch, spätes Mädchen, Weibergeschwätz, Tippse, Tippfräulein, Klatschbase und Mädchen für alles. Inkonsequenterweise werden hier keine Alternativen gegeben, sondern verlangen die Autorinnen hier eine "ersatzlose Streichung". Da ich persönlich auf derartige Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch nicht verzichten kann, hier meine Gegenvorschläge:


alte Jungfer
alte Schachtel
altes Weib
Mannweib
dummes Weibsbild
weibisch
spätes Mädchen
Weibergeschwätz
Tippse
Tippfräulein
Klatschbase
Mädchen für alles


Oma ohne Opa
Behältnis aus Pappe, an dem die Zeit nicht vorübergegangen ist
reife Frau
Frau mit testosteroner Tendenz
geistig minderbegabtes Gemälde einer Dame
dämlich
unpünktliche junge Frau
Diskussion unter Frauen
leitende Assistentin
unverheiratete leitende Assistentin
gesprächs- und kontaktfreudige Cousine
Frau mit breit gefächeltem Aufgabenspektrum

"Texte, Themen uns Strukturen" ist ohne Zweifel ein Muß für den kleinen Deutsch-Fan und jeden, der es einmal werden will. Das Buch ist im Comelsen-Verlag unter der Bestellnummer 121106 käuflich zu erwerben. Außerdem finden sich im Juni sicherlich viele 13er, die das Buch gerne für jeden Preis loswerden wollen.

Jan Karis



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