Allein unter Frauen
"Ich muß im falschen Raum sein", war mein erster Gedanke, als ich meinen Englisch-LK zum ersten Mal sah. Ich überlegte ernsthaft, schreiend rauszurennen und wenigstens eine Person männlichen Geschlechts dazu zu überreden, den Kurs zu wechseln, aber gleichzeitig wußte ich, daß wohl keiner so wahnsinnig sein würde, das Ganze freiwillig mitzumachen. Also beschloß ich, mich der Herausforderung zu stellen.
Mutig setzte ich mich also in die hinterste Ecke des Raumes, was sich von vornherein als eine dumme Entscheidung herausstellte. In den
Anfangszeiten unseres Englisch-LKs hatten wir nämlich noch nicht Herrn Kaum, sondern die von allen Mitschülerinnen heiß geliebte (komm, die ist doch süüüß!!!) Frau Berger. Zu meinem Leidwesen hatte Frau Berger die Angewohnheit, den Unterricht so leise in den vorderen Reihen zu beginnen, so daß ich erst merkte, daß sie schon im Raum war, als sie vor mir stand, hektisch mit dem Finger auf mich zeigte und irgendeine Vokabel wissen wollte, wobei ich ihr natürlich bei bestem Willen nicht weiterhelfen konnte. Unnötig zu sagen, daß sich meine Englisch-Note plötzlich um mehrere Punkte verschlechterte
(Anm.d.Red.: Nicht die Leistung, wohlgemerkt!).
Zum Halbjahr 12/1 schließlich ergab es sich, daß Frau Berger, ihre baldige Pensionierung in Aussicht, ihren Leistungskurs an
Herrn Kaum abtrat. Während sich der übrige Englischkurs in Depressionen verlor (Herr Kaum hat doch einen gewissen Ruf), war
ich außer mir vor Freude, endlich einen Geschlechtsgenossen im Kurs zu haben. Zwar war es schade um Frau Berger, keine Frage, aber
trotzdem ...
Bevor ich jetzt diesen Artikel zu meiner persönlichen Problemecke mache, möchte ich dann doch langsam zum allgemeinen Ablauf des Unterrichts kommen. Je nach Lust und Laune begann Eddie Kaum mit einem deutschen "Guten Morgen!" oder einem "Good Morning, Ladies ... and Gentleman!", wobei gesagt werden muß, daß er hierbei auf eine vernünftige Antwort Wert legte - ein gebrummeltes "Hallo" mit abgewandtem Gesicht konnte ihn ab und zu schon mal dazu bewegen, uns darzulegen, daß das doch keine Art sei, und daß eine Erwiderung seines Grußes doch das mindeste sei, was er erwarten könne.
Fröhlich motiviert wurde dann im Ordner die "Englisch"-Abteilung aufgeschlagen, die wohl für niemanden im Kurs schwer zu finden war, da sie einen mindestens dreimal so großen Platz wie alle anderen Fächer einnahm. Nicht, daß wir so viel geschrieben hätten. Ursache hierfür ist lediglich, daß Eddie uns alle paar Wochen zehn bis zwanzig neue Kopien gab - Gott weiß, was unser Kurs die Gemeinde an Geld gekostet hat. Interessant ist hierbei, daß Herr Kaum das Lochen und Abheften dieser Kopien als vorsätzliche Störung des Unterrichts ansah - sowas könne man bzw. eher frau schließlich zu Hause machen.
Unter Eddies harter Führung konnten wir dann tatsächlich ab und zu auch was lernen, das muß man Ihm lassen. Hin und wieder konnte man jedoch beobachten, daß die Gesamtmotivation unseres Kurses unter die Schwelle sank, wo der gewöhnliche Schüler noch aufnahmefähig ist. Das zeigte sich häufig in den Grammatikstunden, die stets nach der Klausurphase von Herrn Kaum energisch motiviert wurden, oder wenn es sich ereignen sollte, daß wir Kopie 134 als 24. Text zum gleichen Thema lesen
mußten - oder bereits gelesen haben sollten, denn selbstverständlich verlangte Herr Kaum eine angemessene Vorbereitung (mit der wir allerdings nicht immer dienen konnten).
Und dann war da noch die Kursfahrt. Seitdem fünftausend Jahre hart umkämpftes Patriarchat innerhalb kürzester Zelt zerstört wurden, ist es illusorisch, zu glauben, man sei der Hahn im Korb statt nur ein armes Schwein. Also setzte Ich alle Hebel in Bewegung, um mit dem Mathekurs zu fahren, was jedoch daran scheiterte, daß dieser relativ wenig Interesse daran zeigte (lediglich zwei Leute waren meiner Meinung), sprich alle Mathematiker fuhren mit ihrem jeweils anderen Kurs.
Also doch Englisch. Schön, wenn man das Mitgefühl fast der ganzen Stufe kriegt, wenn man erzählt, daß man ganz, ganz allein mit lauter Frauen auf Kursfahrt gehen muß.
Wohin sollte es nun gehen? Entscheidungen zu treffen, war immer eine Schwäche unseres Kurses. Demokratie ist eine Theorie, die sich nur schwer umsetzten läßt. Irgendwie sind wir dann darauf gekommen, daß England für einen Engllsch-LK die naheliegendste Lösung ist. Doch dummerwelse gibt es in England auch mehrere Städte. Fahren wir also nach London? Oder nach Briiiiiiighton (für Insider)? Na ja, irgendwie haben wir uns dann für London entschieden.
Und alles in allem war die Kursfahrt doch ganz OK. Wir suchten uns ein drolliges Hotel (das mich irgendwie an Fawlty Towers erinnerte), wo ich aus bereits bekannten Gründen in den Genuß eines Einzelzimmers kam. Das gefürchtete englische Essen haben wir auch überlebt, und aus Angst vor Rinderwahnsinn hatte ich meine erste nahezu vegetarische Phase. Und während der Erdkundekurs zur gleichen Zeit im Alkoholexzeß lebte, bezahlten wir DM 9,- für eine 0,31 Flasche Bier - ohne Trinkgeld.
Aber wir waren ja nicht zum Essen und Trinken nach England gekommen. Und so arbeiteten wir unser je nach Geschmack mehr oder weniger interessantes, aber doch bestimmt nicht allzu schlechtes Kulturprogramm ab und erhielten von Eddie (eigentlich unerwarteterweise) großzügig im Durchschnitt einen halben Tag frei. Voraussetzung war das Aufrechterhalten von Gruppen von mindestens drei Personen.
Und so kam es, daß Ich immer hinter der Gruppe hertrottete, die für mich das am wenigsten langweilige Ziel hatte (Na ja, ganz so schlimm war's nicht immer). In meiner grenzenlosen Naivität fuhr ich dann auch mit nach Kensington Palace (was soll da schon sein, ist ja bloß zwei Tage nach Dianas Beerdigung), wo wir dann natürlich in totalem Chaos ankamen. Da uns dort ein Schild sagte, daß sich der Palace irgendwo rechts befand, wandte ich mich demonstrativ nach links und konnte sogar noch zwei Mitschülerinnen
dazu bewegen, mit mir zu kommen.
Alles in allem war es auf jeden Fall ein sehr netter und immer wieder witziger Kurs, eine tolle Kursfahrt und beides sicher eine bleibende Erinnerung.
The rest is silence.
Jan Karis
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